Baldor
und Albrich, die Drachenbrüder, saßen in der Drachenschule und versuchten sich
auf die Aufgaben zu konzentrieren. Doch immer wieder wanderten ihre Blicke zu
dem Drachenmädchen Flaja. Diese war eine schlanke Schönheit, ganz im Gegensatz
zu Baldor. Der große Bruder von Albrich war ein dicker Drache. So war es schon
immer und es hätte auch so bleiben können, wenn Albrich nicht am nächsten Tag
zu Flaja gegangen wäre und ihr einen Strauß Feuerblumen geschenkt hätte. Flaja
war nämlich so gerührt, dass sie Albrich die Wange leckte. Als Baldor dies sah,
flammte Eifersucht in ihm auf. Zornig ging er auf ihn zu. Seine Flügel bebten
vor Erregung. „Was hast du dir dabei gedacht?!“, fauchte er Albrich an, der
verträumt Flaja nachsah. Zuerst wusste Albrich nicht, warum Baldor sich so über
seine Tat aufregte. Dann verstand er. Baldor ist auch in Flaja verliebt und er,
Albrich, hatte die alte Tradition verletzt. Diese war, dass die Älteren immer
Vortritt haben, egal um was es sich handelt. Bei dieser Kenntnis ließ er den
Kopf hängen. „Ich wusste es nicht. Es tut mir leid”, entschuldigte er sich
schuldbewusst. Als er wieder aufblickte, sah er, dass Baldor immer noch mit
verschenkten Vorderbeinen dastand. „Was ist denn noch? Ich habe mich schon
entschuldigt”, rechtfertigte Albrich sich. „Und du denkst das reicht?!“, fragte
Baldor und funkelte seinen jüngeren Bruder an. „Was soll ich denn noch tun! Es
ist schon passiert und ungeschehen kann man es auch nicht machen!“ Albrich
ärgerte sich. Warum muss Baldor sich so darüber aufregen?, dachte er.
„Ungeschehen machen kann man es nicht, aber überdecken!“, sagte Baldor nachdenklich.
„Was meinst du damit?“, wollte Albrich aufgebracht wissen. Baldors wütender
Blick wanderte wieder zu ihm. „Ganz einfach du Küken!“ Baldor verzog das
Gesicht zu einem Grinsen. „Wenn ich ihr etwas schöneres schenke, wird sie dich
vergessen!“ „Das wird dir nicht gelingen!“, entgegnete Albrich mit einen
Lächeln. „Warum?!“, knurrte Baldor ihn an. Doch Albrich drehte sich- immer noch
lächelnd- um und ging zu seinen Freunden, um mit ihnen Feuerball zu spielen.
Am
Ende des Unterrichts war Baldor noch immer mit seinen Fragen beschäftigt. Wie
kann ich Albrich übertreffen? Und was soll ich Flaja schenken? Dann erinnerte
er sich an die Landkarte, die Frau Eoa, ihre Fluglehrerin, ihnen gezeigt hatte.
Dort war eine Ritterburg eingezeichnet gewesen, ganz in der nähe von seiner
Heimat. Und wie er von dem Geschichtsunterricht wusste, befinden sich in
solchen Burgen Schatzkammern mit Gold! „Das ist es!“, rief er aus und
ignorierte den fragenden Blick von seiner Mutter, als er in die Höhle eintrat. Baldor
schlang sein Mittagsessen hinunter und erstickte fast. Nur der aufmerksamen
Mutter verdankte er, dass er noch lebte. „Was ist los, Baldor?“, fragte sie
nach dem Essen. Mit einem Grinsen verzog sich Albrich in seinen Höhlenteil. „Ich
wollte heute zu Mars rüber fliegen und mit ihm zusammen zu dem Wald fliegen”,
sagte Baldor betont harmlos. „Und deshalb schlingst du dein Fleisch herunter
und erstickst fast!“ Seine Mutter blickte ihn tadelnd an. „Ist ja schon gut”,
versuchte Baldor sie zu besänftigen, „In Zukunft werde ich meine Tischmanieren
nicht vernachlässigen!“ Zufrieden nickte sie. „Dann darfst du jetzt zu Mars.“
Sie ging hinaus um die Feuer- und Makrelblumen zu gießen. Als Baldor abflog,
hörte er noch das Kichern von Albrich. Mit wenigen Flügelschlägen war er in der
Luft und flog in Richtung Ritterburg. Nach einer halben Stunde sah man die
Silhouette der Burg am Horizont. Freudig schickte Baldor einen Feuerstrahl in
den Himmel. Er ließ sich von der Luft tragen und war nach wenigen Minuten über
der Burg. Langsam ließ er sich hinunter gleiten. Kaum brach er aus der
Wolkendecke wurde in der Burg Alarm geblasen. Und schon schossen die ersten
Bogenschutzen nach ihm, doch die Schuppen schützten Baldor und die Pfeile
fielen in die Tiefe. Alles war geschützt. Nur die Flügel nicht. Die Membranhaut
wurde von Pfeilen bespickt und beschwerten das Fliegen und Baldor segelte
langsam in den Burghof. Er schickte einen Feuerstrahl voraus. Baldor erwartete,
dass die Menschen in Flamen aufgehen, doch ihre Schilder, die auch die
Burgmauern zierten, werten das Feuer ab. Nur ein Kettenhemd fing Feuer, doch
dieses wurde sofort gelöscht. Baldor war verwirrt. Mit einem dumpfen Laut
landete er. Dann schaute er sich um. Nirgendwo war Feuer. In seiner Verwirrung näherten sich hinter ihm
fünf Ritter, die zwei Hammer, zwei spitze Pfosten und ein dickes Seil hielten.
Baldor bemerkte sie erst, als sie mit ihren beiden Hämmern die Pfeiler in
die Membranhaut der Flügel durchbohrten.
Er konnte die Flügel nicht bewegen. Fauchend wandte er seinen Kopf den fünf
Rittern zu. Nun reagierte der Ritter mit dem Seil in den Händen und schlang es
um sein Maul. In der Hoffnung ihn loszuwerden, reckte er seinen Kopf in die
Höhe. Hilflos baumelte der Ritter in der Luft, doch irgendwann gelang es dem
Ritter doch, Baldors Maul zu schließen. Baldor schüttelte den Kopf und machte
die ganze Zeit ruchartige Bewegungen, doch der Ritter und das Seil blieben an seinem
Maul. Ergeben legte er den Kopf auf den Boden und wünschte die Ritter würden
einen kurzen Prozess mit ihm machen. Doch die Ritter dachten nicht daran ihn zu
töten. Sie legten ihm drei Metallreifen um den Hals und nahmen die Pfeiler aus
Baldors Flügeln. Eisenketten wurden an den Metallreifen befestigt und die
Ritter nahmen sich jeweils eine. Baldor ließ sich von ihnen in einen Saal
bringen und schaute niedergeschlagen zu, wie die Ritter die Eisenketten mit ein
paar Handgriffen an drei Eisenringe in der Mauer befestigten. Dann verließen
sie ihn und schlossen das gepanzerte Portal. Sobald sich der Schlüssel im
Schloss drehte, brüllte Baldor seine ganze Verzweiflung heraus. Er versuchte
durch zerren die Eisenketten zu zerteilen. Doch schon bald gab er auf. Die
Metallreifen um seinen Hals kratzten über seine Schuppen und sechs legen schon
auf dem Boden. Traurig dachte er an seine Mutter und an Albrich. Dann dachte er
an Flaja. Dann dachte er an seinen Vater, der zu den Menschen geflogen war und
seitdem sehr zurückgezogen lebte. Hatte sein Vater das gleich ertragen müssen
wie ich, fragte sich Baldor.
Eine
huschende Bewegung weckte seine Aufmerksamkeit. Blinzelnd schaute er in die
Dunkelheit. Ohne Feuer war die Nacht unheimlich und dunkel. Das wird eine lange
Nacht, dachte er traurig und schloss die Augen wieder. Etwas berührte seine
durchlöcherten Flügel. Zuerst versuchte Baldor es zu ignorieren, doch dann
bemerkte er, dass es Finger waren und schreckte hoch. In seinem Blickfeld war
ein Mädchen mit einer Fackel, daneben standen zwei Jungen. Baldor schwenkte
seinen großen Kopf auf sie zu. Er knurrte, als einer der Jungen nach dem Strick
griff, der um sein Maul gebunden war. Verwirrt spürte er, wie der Junge den
Strick abstreifte. Prüfend klappte er den Mund einmal auf und zu. „Glaubt ihr
er kann verstehen was wir sagen?“, fragte das Mädchen. Doch die Jungen kamen
nicht zu Wort. „Natürlich verstehe ich, was ihr sagt! Wie sollen wir Drachen
uns denn sonst unterhalten?“, knurrte Baldor. Die Kinder wurden bleich vor Schreck.
„Äh… Gut das du uns verstehen kannst”, begann einer der Jungen unsicher. „Wir
wollten dir sagen… äh, wir wollten dich bitten…, dass du kein Feuer spuckst.
Man… man würde es bemerken.“ Abschätzend betrachtete Baldor die beiden Jungen
und danach das zierliche Mädchen. Der blonde Junge war kräftig gebaut und hatte
einfache Kleidung an. An seinem Gürtel hingen ein Dolch und ein Beutel. Der
andere Junge, der eben gesprochen hatte, war dünn und trug die gleiche Kleidung
wie der Andere. Doch an seinem Gürtel hing nur ein Beutel. Dafür hatte er einen
Bogen und einen Köcher auf dem Rücken. Das Mädchen dagegen war mit prächtigen
Kleidern bekleidet und trug eine silberne Kette um ihren Hals. Bewaffnet war
sie nicht. „Und was wollt ihr von mir?“, fragte Baldor und lächelte, als er
sah, dass der blonde Junge nervös hin und her schaute. Da meldete sich das
Mädchen zu Wort. „Wir wollen dich befreien. Wie heißt du eigentlich?“ Baldor
knurrte. Dann antwortete er widerwillig: „Baldor.“ Erwartungsvoll schaute er
auf die Kinder herab. „Ich bin Violetta, das“ – Das Mädchen zeigte auf den
blonden Jungen - „ist Mark und das“ – Sie zeigte auf den anderen Jungen – „ist
Luc“ Violetta brachte ein kleines Lächeln zustande. „Darf ich dir die
Metallringe um deinen Hals lösen?“, fragte Luc leise. Zur Antwort senkte Baldor
den Hals auf die für Luc erreichbare Höhe. Mark holte einen Schlüsselbund
heraus, reichte ihn Luc und dieser begann nach dem ersten passenden Schlüssel
zu suchen. Baldor war verwirrt. Erst fingen die Ritter ihn und dann ließen
Kinder ihn frei! Die Menschen sind schon ein komisches Volk, dachte er. Dann
war er frei. Mit neuem Mut reckte und streckte er sich. Seine Flügel schmerzten
noch, aber weil die Membranhaut die Eigenschaft hatte schnell wieder
nachzuwachsen, waren die meisten Löcher nicht mehr zu sehen. Mark, Violetta und
Luc retteten sich außer Weichweite der Flügel, als Baldor sie prüfend auf und
ab schlug. „Danke!“, sagte er freudig. Mark und Luc verbeugten sich leicht.
„Haben wir gern gemacht”, flüsterte Violetta mit einem Lächeln, „Nun müssen wir
aber gehen.“ Mit diesen Worten ging sie zum Portal und öffnete es. Die Jungen
folgten ihr hinaus und nachdem sie noch einmal gewinkt hatten, verschwanden sie
im Schatten. Langsam ging auch Baldor in den Flur hinaus. Plötzlich tauchte Luc
wieder vor ihm auf. „Könnte ich mit dir mitkommen?“, fragte er leise. „Warum?“,
fragte Baldor zurück. Luc zuckte mit den Schultern. „Wenn wir bei mir Zuhause
sind, gibt es nur Drachen! Als was willst du bei uns auftauchen? Und außerdem
würde der erste Drache, der dich sieht, einfach braten“, meinte Baldor. „Du
könntest mich doch beschützen!“, schlug Luc vor, „Und was die Frage angeht; ich
könnte als dein Reiter kommen.“ Skeptisch schaute Baldor ihn an. „Es ist dein
Leben”, sagte er, „Ich garantiere nicht, dass du ein hohes Alter erreichst und
ohne Verletzungen bleibst.“ Nach einer Pause fügte er hinzu: „Du solltest
Verpflegung mitnehmen. Und weitere Kleider wären auch nicht schlecht.“ „Das
habe ich schon gemacht”, sagte Luc und holte einen Holzgerahmten Rucksack
hervor. Leise schlichen sie auf den Burghof und Luc kletterte auf Baldors
Rücken. „Du bist auch wirklich sicher, dass du mitkommen willst?“, fragte
Baldor noch einmal. „Ja”, kam es wie erwartet von seinem Rücken. Dann flog er
los. Im Morgengraun kamen Baldor und Luc an ihrem Ziel an.
Zur
gleichen Zeit wurde bemerkt, dass die Beiden aus der Burg geflogen waren. Mark
war sich sicher, dass Luc mit dem Drachen weggeflogen war, doch Violetta
glaubte er sei von dem Drachen gefressen worden.
Wie
Baldor vorausgesagte hatte, versuchte der erste Drache, den er und Luc
begegnetem, Luc zu fressen. Nur durch Baldors zureden ließ der Drache von Luc
ab. Luc war schockiert, fing sich aber wieder. Als sich alle an ihn gewöhnt
hatten, waren Jahre vergangen und Luc hatte sich zu einem Fleischfresser
entwickelt. Er kam mit in die Drachenschule. Wenn die Drachen Feuer spuckten,
durfte er mit einem feuerfesten Schild die Flammen abwehren.
Als
er älter wurde, führte er ein Unterrichtsfach namens Menschenkunde ein. Baldor
half ihm dabei. Und Flaja? Flaja paarte sich mit Albrich.
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